Wie fliege ich Wingover mit dem Gleitschirm?

WingoverWingover mit dem Gleitschirm – für mich die schönste, eleganteste und ästhetischste Form von „Kunstflug“. Ein Manöver, das auch Piloten ohne Ambitionen zum Acrofliegen mit viel Ausdauer auf die Reihe bekommen können – aber es bedarf viel Übung und kann nicht mal so eben gelernt werden. Wer sich zu schnell an hohe Wingover wagt, der fängt sich gewiss die eine oder andere Schweinerei ein. Mindestens in Form von Klappern, gerne mit Verhängern oder auch noch andere dynamische Flugfiguren, die böse ausgehen können. Aber ich will mit meiner „Anleitung“ keine Angst vor dem Wingover streuen, sondern viel mehr die Angst nehmen und versuchen den Ablauf gut rüberzubringen.

Kleine „Wingover“ fliegen wir bereits alle in der Schulung. Das Rollen ist die Basis eines jeden Wingovers. Durch das Erfliegen von kurz aufeinander folgenden Kurven schaukle ich das Pendel Gleitschirm/Pilot immer weiter auf. Das Ziel ist es, hohe Wingover mit 90° und mehr über die Querachse zu fliegen. Ein optimistisches Ziel – aber mit viel Übung kann es jeder erreichen.

Aber beginnen wir von vorne. Ich wagte mich gleich nach Erhalt meines A-Scheins an dieses Manöver heran. Ohne jegliche Anleitung kassierte ich beim zweiten Versuch etwas höher hinaus zu kommen, einen kleinen Klapper, der zum Glück harmlos verlief. Der Schock saß erst einmal tief und ich fragte am selben Tag noch einen meiner Fluglehrer, wie man denn Wingover ohne Klapper erfliegt? Er sagte: „Du musst den Außenflügel am höchsten Punkt stützen, da dieser sonst entlasten kann!“ Diesen Rat habe ich beherzigt und stütze somit den Außenflügel ab sofort immer brav mit. Nun bekam ich aber irgendwie keine Dynamik mehr in das System – denn wer bremst, verliert! 🙂 Da ich durch meinen Klapper einen gewissen Respekt vor dem Wingover gelernt hatte, stütze ich den Außenflügel lieber etwas früher, als zu spät. Das raubte mir dann allerdings so viel Dynamik, dass ich meinen Arsch nicht wirklich hoch bekam. Dann hatte ich aus anderer Quelle etwas von einer extrem wichtigen Gewichtsverlagerung gehört, die für ordentliche Wingover von Nöten sei. Also versuchte ich dieser Anweisung zu folgen und verlagerte fleißg mein Gewicht von links nach rechts und zog dabei meine Bremsen. Und siehe da, es entstand eine ganz neue Dynamik. Den weiteren Werdegang möchte ich euch im Detail ersparen. Ich übte gut 2 Jahre dutzende von Wingover, immer dann, wenn ich physisch und psychisch einen guten Flugtag hatte. Ich tastete mich cm um cm an die höhere Neigung heran. Wenn es mir zu hoch wurde, leitete ich in einer engen Kurve (oder Spirale) aus – und ich kassiert bis heute keinen einzigen Klapper mehr.

Nun zur Technik:

Wingover Ein paar klare Worte vorab: meine Anleitung ersetzt keinen Flugleherer oder Sicherheitskurs. Zum üben von Wingovern sollte ausreichend Sicherheitshöhe vorhanden sein (bei 250m ü.G. sollte schluss sein). Bei höheren Wingovern besteht immer die Gefahr eines Entlasters auf der kurvenäußeren Seite (wenn nicht gestützt wird), woraus ein großer Klapper mit Verhänger resultieren kann und im worst case mit anschließendem Spiralsturz endet! Du weißt wo dein Rettungsgerät zu ziehen ist und du hast keine Scheu davor, dieses auch zu ziehen, wenn du eine Schweinerei erlebst der du nicht gewachsen bist! Wer die Rettung zieht ist kein Looser – ganz im Gegenteil! Trage Handschuhe und übe dieses Manöver nur dann, wenn du körperlich und vor allem auch geistig fit bist und dich gut fühlst. Am besten in ruhiger Luft im Winter oder morgens/ abends. Dein Gurtzeug muss so eingestellt sein, dass deine Nase möglichst weit hinter den Tragegurten ist und der Brustgurt soweit geöffnet ist, dass du mit Gewichtsverlagerung viel erreichen kannst. Umso weiter dieser geschlossen ist, desto weniger gut lässt sich der Schirm mit Gewichtsverlagerung steuern. Eine Faustregel ist ca. die Länge des Unterarmes: vom Ellenbogen bis zu den Fingerspitzen. Das hängt allerdings auch wieder von deinem Schirm, Gurtzeug und Setup ab… da gibts keine pauschale Aussage.

Schritt 1:

Bevor du deine Bremsen benutzt, lernst du die Wingover ausschließlich mit Gewichtsverlagerung zu fliegen! Du schwebst also an deine Position (wo du dich gut fühlst und ausreichend Höhe hast) lässt die Hände an den Bremsen, diese ganz oben und wirfst mit ordentlich Schwung dein Gewicht auf die Außenseiten. Beginne mit der Seite, die dir am besten liegt. Bei mir ist es links (ich bin auch Linksausdreher). Es wird erst mal nicht all zu viel passieren. Kurz bevor dein Flügel den höchsten Punkt (der jetzt noch sehr flach ist) erreicht hat, schmeißt du dein Gewicht bereits auf die andere Gegenseite. Und ich meine schmeißen! Mit Schwung und richtiger Power. Nehme deine Beine dazu, indem du das eine Bein über das andere schlägst. Also bei einer Linkskurve das rechts Bein über das Linke werfen. Nutze deinen Hintern um Druck auf die Seite auszuüben und lege deinen gesamten Rücken in die jeweilige Richtung. Das Timing ist hierbei absolut entscheidend! Gehe mit deinem Schirm mit. Stelle dir vor, du bist das Pendel einer großen Standuhr. Gib dem Schirm Zeit, die Richtung zu wechseln. Kurz bevor du (das Pendel) den höchsten Punkt erreicht hast, wirfst du dein Gewicht wieder auf die Gegenseite. Und so weiter. Du wirst erstaunt darüber sein, wie leicht sich die Kiste aufschaukeln lässt und Dynamik aufbaut. Keine Angst, in dieser Phase kann dein Schirm noch nicht einklappen – denn so hoch wirst du noch nicht kommen. Übe diese Wingover mit Gewichtsverlagerung bis zum Abwinken. Bei jeden Flug wirst du einen Erfolg verzeichnen und du lernst das Timing immer besser zu verstehen. Das Ziel ist es, ein harmonisches Pendel einer großen Standuhr zu werden! Schirm und Pilot müssen eine Einheit werden, die im selben Takt ticken. Umso höher du kommst, desto mehr Zeit braucht das ganze System. Erst wenn du das sicher beherschst und begriffen hast, kommen wir zum Einsatz der Bremsen.

Schritt 2:

WingoverWenn Schritt 1 so richtig gut sitzt, nimmst du die Bremsen hinzu. Denke immer daran: die Bremse raubt dir Dynamik – denn sie bremst das System! Wir benötigen hauptsächlich das Gewicht und nur einen Impuls mit der Innenbremse und ebenso einen dosierten mit der Außenbremse, damit der Außenflügel nicht einklappt. Für hohe Wingover benötigen wir dann später schon mehr Bremseinsatz.

Der Ablauf sieht jetzt so aus: Gewichtsverlagerung (wie in Schritt 1) -> Bremse -> Stützen (Je nach Schirmtyp musst du die Außenseite schon extrem früh oder erst später sützen – das merkst du dann aber gleich). Kurz bevor zu am höchsten Punkt bist, wirfst du dein Gewicht auf die Gegenseite. Du pendelst unter dem Schirm durch und wenige Augenblicke danach bringst du die Innenbremse mit einem kurzen Impuls zum Einsatz und gibst langsam wieder nach. Am höchsten Punkt kommt die Außenbremse hinzu. Mit dieser sützt du den Außenflügel lediglich so intensiv, dass du wieder Druck auf der Bremse spürst. In dem Augenblick hast du dein Gewicht bereits schon wieder auf die Gegenseite geworfen und das Spiel geht von vorne los. Du schaukelst das System damit immer weiter auf. Stelle dir dabei vor, wie die Figur eines Wingover in der Draufsicht aussieht. Du fliegst im Grunde 180° Schwünge von links nach rechts (ähnlich wie eine 8). Versuche diese Form bewusst zu fliegen. Merke dir dafür Punkte in deiner Umgebung Berge, Häuser… Während der Wingover schaust du in die Richtung (am besten zum Außenflügel), in die du fliegen möchtest. Deine Aufmerksamkeit lenkt das ganze System in die entsprechende Richtung. Umso höher die Wingover werden, desto länger dauern die Schwünge. Sei eine Einheit mit deinem Flügel, die sich im harmonischen Takt befindet.

Wingover mit tollem Schattenspiel :-)Wenn du merkst, dass das Timing nicht ideal ist oder die Thermik/der Wind dich aus dem Takt bringen, breche das Manöver ab und beginne von vorne! Solltest du dir einen Klapper einfangen, mache weiter mit deinen Wingovern – bleibe im Rhythmus. Der Kapper geht in der Regel wieder auf und verläuft weniger tragisch, wie wenn du panisch etwas dagegen unternehmen möchstest und ggf. zum falschen Zeitpunkt das Pendel (dich) aus der Bahn wirfst. Die Folgen könnten heftiger ausfallen als ein kleiner Klapper während du im Rhythmus bist.

Das Credo für schöne und hohe Wingover heißt ÜBEN! Du wirst immer wieder an den Punkt stoßen, wo dir die Dynamik unbehagen bereitet. „Was kommt danach, wenn ich noch höher gehe? …“ Taste dich cm für cm heran und gehe nur soweit heran, wie du dich noch wohl fühlst – dann leistest du wieder aus. Irgendwann wirst du die Ausleitung immer weiter herauszögern und schöne 8er in den Himmel malen. Viel Spaß und vor allem Erfolg wünsche ich dir!

Schritt 3 folgt bald. Das ist dann die Perfektion für ganz hohe Wingover. Dann bauen wir nach der Bremse und vor dem Stützen noch einen „Kick“ ein! 😉

Zu erwähnen wäre noch, dass jeder Gleitschirm anders auf Gewichtssverlagerung und Bremse reagiert. In der Regel die niedrigeren Klassen gedämpfter (A-Schirme) und ab der B-Klasse wird es schon dynamischer und ein C/D Schirm der geht viel schneller um die Ecke. Man kann dies aber nicht nur auf die Klassen beziehen.

Hier habe ich ein Video mit ein paar hilfreichen Hinweisen erstellt. Durch die Positionierung der Kamera zwischen meinen Beinen, konnte ich allerdings das Gewicht nicht so ideal (aggressiv) verlagern wie ich es gewohnt bin (Beine übereinander schlagen)… ansonsten wäre die Cam vielleicht sonst wo gelandet 😉

This Post Has 6 Comments

  1. Username* sagt:

    Danke Nicolas! Very clear explanation and inspiring! Can’t wait to go flying.
    Cheers, Jeroen (NL)

  2. Manuel sagt:

    Hi Nicolas, sehr eindrücklicher und verständlicher Artikel. Danke für deine Berichte!

    lg,

    Manuel

  3. Technopet sagt:

    Tolle Anleitung und Video! Wenn du noch was über Schritt 3 schreiben wollen würdest fände ich das toll.

    lgStefan

  4. Quelvik sagt:

    Hallo,
    ohne viel Umschweife direkt zur Frage: Wann kommt den der Schritt 3? Meine Erfahrung mit Wingover deckt sich komplett mit deinem Artikel. Ich glaube auch – aber wer weiß das schon so genau – bereits in den Bereich des „Schritt 3“ vorgedrungen zu sein, zumindest drehe ich mehr als 180 grad beim Wingover und verlagere das Gewicht erst wenn es, bzw. kurz bevor es wieder runterschwingt. Wäre für jeden Tipp dankbar.

    • Nicolas sagt:

      Hi, für Schritt 3 fehlt mir im Augenblick einfach die Zeit. So wie es kling bist du ja bereits bei Schritt 3 angelangt, wenn die Höhe der WO’s auch über 90° hinaus geht. Das ganze kann man jetzt einfach in der Höhe und Dynamik ausbauen… wenn man’s kann. Mir reichts dann bei etwas über 90° 🙂

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert